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Reformation

Einführung der Reformation in Hessen – Landgraf Philipp der Großmütige (1518-1567)

Im Sommer 1524 trat Landgraf Philipp von Hessen zur lutherischen Lehre über und setzte diese Reformation auch in seiner Landgrafschaft durch. Da das Streben nach einer Reform der bisherigen Kirchenbräuche und -mißbräuche allgemein verbreitet war, bedurfte es keines Drucks auf die Versammlung der Landstände im Homberg a.d. Efze am 26.10. 1526, um für das ganze Land den Übergang zur Reformation zu beschließen. (Vgl. das Kapitel „Frühe Neuzeit“ im Digitalen Archiv Marburg: http://www.digam.net/data/digam/index.html)
Die folgende Einführung zu den Dokumenten (Liste) geht vor allem auf solche Veränderungen ein, die sich auf das Gebiet der erst seit 1567 bestehenden Landgrafschaft Hessen-Darmstadt beziehen bzw. als Konsequenz der von Philipp in seiner Regierungszeit (1518-67) angestoßenen Reformen dann von seinem Sohn Landgraf Georg I. in dessen Landgrafschaft Hessen-Darmstadt 1567-1596 durchgeführt wurden.

Wenn auch Landgraf Philipp im Sommer 1524 zweifellos aus persönlicher Überzeugung und Frömmigkeit zur Lutherischen Reformation übertrat, so nutzte er doch auch geschickt die Möglichkeiten, die mit der Änderung der Kirchenverfassung verbunden waren, für die Verstärkung seiner innenpolitischen Macht. Auch bei anderen Gelegenheiten hatte er – wie andere Landesfürsten – stets darauf gesehen, eine zentralisierte Territorialherrschaft auszubauen. Das geschah einmal mit der Ausschaltung des Reichsritters Franz von Sickingen (1523), der permanent Städte und fürstliche Herren mit Fehden überzogen hatte. Dieser Sieg wurde dazu genutzt, die ritterliche Opposition insgesamt zu schwächen. Ähnlich verfuhr Philipp ein Jahr später bei der Niederschlagung des Bauernaufstandes 1524/25. Obwohl es in Hessen nur zu vereinzelten Bauernaktionen in einigen oberhessischen Städten kam, griff Philipp in Hersfeld und Fulda rasch und brutal mit Landsknechten und landgräflichem Aufgebot ein, um die Sympathisanten der "Zwölf Artikel" zu Gehorsam zu zwingen und die unterworfenen Städte Treuegelöbnisse ablegen zu lassen. Auf die Beschwerden der Bauern über Willkür seiner Amtmänner in der Obergrafschaft reagierte er mit dem Versprechen, keine neuen Belastungen zuzulassen. Philipp und den anderen Reichsfürsten kam es darauf an, die Untertanen endgültig in die Schranken des Gehorsams zu weisen. In seinen Worten: "den bösen auführerischen Bauern" sollten vor "Mutwillen" und "Aufruren" ein für allemal abgeschreckt werden.

„Reformation“ war ein Begriff, der gleichermaßen für Veränderungen in weltlichen wie geistlichen Bereichen verwandt wurde. Tatkräftig und energisch nahm der Landgraf die aus seinem Übertritt zur lutherischen Lehre, also aus der Glaubensreformation folgenden Umgestaltungen in die Hand. Eine Säkularisation, also „Verweltlichung“ einst geistlicher Aufgaben war die Auflösung der rund 40 hessischen Klöster. Nachdem die Nonnen und Mönche finanziell abgefunden worden waren, wurden die Stifte Kaufungen und Wetter zur Versorgung unverheirateter Adelstöchter gegründet. Mit den ehemaligen Klostereinnahmen unterhielt man nun Spitäler, um die Krankenversorgung auf dem Land zu verbessern, so etwa in Haina und Merxhausen (1531), in Gronach (1542) und Hofheim (1535). Sie waren nicht nur Krankenhäuser, sondern Hospitäler "zu erhaltung der armen dürfftigen geprechlichen und krancken" Leute, wie das Gründungsdokument des heute „Philippshospitals“ genannten Zentrums für Soziale Psychiatrie ausweist. (Dok 1)

Aus weiteren ehemaligen Kircheneinnahmen wurden Almosen- und Armenkasten (=Kassen) in den Gemeinden für die Armenpflege eingerichtet sowie ein "gemeiner Kasten" für die Pfarrerbesoldung. Zur Ausbildung der künftigen Pfarrer, Lehrer und Beamten schließlich gründete Philipp 1527 in Marburg eine Universität. Die religiöse Neuordnung wurde mit der "Ziegenhainer Zuchtordnung" abgeschlossen, in der unter anderem die Konfirmation vorgeschrieben wurde. Den ihr vorangehenden Pflicht-Unterricht für alle Kinder erteilten die Pfarrer, während die im ganzen Land neu eingerichteten Volks- und höheren Schulen zumindest geistlich kontrolliert wurden. Alle diese Neuerungen sollten durch Überwachung und Strafen den Untertanen eingeschärft werden. (Dok 2)
Ebenfalls als „Reformation“ bezeichnet wurde eine 1559 erlassene Zusammenfassung verschiedener Vorschriften, die ebenso eine Handwerksordnung enthielten wie eine Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten oder aber Vorschriften für das Verhalten an Markttagen. Aus diesen Regeln wird das Alltagsleben der Menschen anschaulich.
(Dok 3)


Agenda und Policey : Hessen-Darmstadt wird zum Staat - Landgraf Georg I. (1567-1596)

In seinem Testament von 1562 teilte Philipp das Land unter seine insgesamt 11 Söhne. Die sieben Söhne aus seiner zweiten, illegitimen Ehe erhielten als "Grafen von Diez" jeweils eigenen Besitz, wenn auch nur von bescheidenem Umfang , nämlich einzelne Ämter wie Umstadt, Bickenbach oder Schotten. Die primär legitimierten Söhne aus seiner ersten Ehe wurden Nachfolger der Landgrafschaft mit je eigenen Herrschaften. Die Einheit des Landes sollte dadurch gewahrt bleiben, daß eine Reihe Gemeinsamkeiten vorgeschrieben wurde: so der Herrschertitel, das Wappen, die Landtage, das (Ge) Samthofgericht, das (Ge-)Samtarchiv, die Universität Marburg, die Stifte und die Rheinzölle.

Nach dem Senioritätsprinzip hatte Landgraf Philipp den älteren Söhnen die größeren Anteile überschrieben. Wilhelm IV. erhielt mit Kassel etwa die Hälfte, Ludwig IV. mit Marburg und Oberhessen ein Viertel des Gesamterbes, während die jüngeren sich das restliche Viertel teilen mußten: Philipp bekam die Niedergrafschaft Katzenelnbogen um Rheinfels und Georg die Obergrafschaft Katzenelnbogen mit Darmstadt. In diesem Achtel von Hessen setzte Georg I. (1567-1596) nun die Politik der allmählichen Durchdringung des Landes mit obrigkeitlicher Ordnung fort.





Der neue Landesherr ging zielstrebig daran, die ländliche Ackerbürgerstadt Darmstadt in eine angemessene Residenzstadt umzuwandeln. Zunächst wurde das Schloß erweitert und zur Verteidigung hinter dem neu vertieften Graben Wall und Bastionen errichtet. Ein Neubau im Schloß nahm als Kanzlei die Regierungsbehörden auf. Zeughaus und Marstall dienten zur Versorgung des vergrößerten Hofstaats. Der erweiterte Schloßgarten ("Herrengarten") schuf den Rahmen für fürstliche Repräsentation, und für die standesgemäßen Jagdvergnügen baute Jakob Kesselhuth einen Gutshof zum Jagdschloß Kranichstein um.
Für die Beamten wurde eine ganze Straße, die "Alte Vorstadt" geschaffen, in der man Steinhäuser und nicht die sonst üblichen strohgedeckten Fachwerke errichtet. Durch Anlegung mehrerer Teiche (darunter des noch bestehenden "Großen Woog") sowie von Brunnen und Wasserleitungen nicht mehr aus Holz-, sondern aus Tonröhren sollte mit der Wasserqualität die Hygiene verbessert, vor allem aber die Brandbekämpfung im noch überwiegend aus Holzhäusern bestehenden Darmstadt erleichtert werden. (Dok 2)


Die für alle hessischen Landgrafschaften geltende Kirchen-Ordnung" ("Agenda", Dok. 4) machte detaillierte Vorschriften zum äußeren Ablauf wie zur inhaltlichen Gestaltung des Gottesdienstes (Dok 5). Außerdem wurde der Konfirmationsunterricht als Pflicht eingeführt (Dok 6). Aus den teilweise sehr konkreten Regelungen entsteht auch ein Bild des Alltagslebens der Menschen im 16. Jahrhundert, das durch die oft drastischen Formulierungen noch plastischer wird, mit denen der Landbevölkerung Moral eingebläut werden sollte. Das Verbot der Sonntags-Tänze wie des ""Fressens, Sauffens, Spielens, Schlegerey" mußte ebenso dauernd neu eingeschärft werden wie die Pflicht, den Gottesdienst zu besuchen und die Lieder "in teutscher und bekandter Sprach" zu singen ,- übrigens "auffs kürtzest" nicht "über ein viertheil Stunde ... damit das Volck nicht auffgehalten" werde.
(Dok 7)

Nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 blieb Deutschland konfessionell gespalten. Geistlichen wie Untertanen wurde von dem Landesherren jeweils der "rechte Glaube" abverlangt. Um ihn zu lernen sollte ein flächendeckender Schulunterricht eingeführt werden, der zugleich auch die Möglichkeit gab, "den Hauffen dahin [zu] halten und [zu] treiben / daß sie wissen / was recht und unrecht ist". Denn die "Religion / ohne welche sie nicht selig oder auch zu rechtschaffener disciplin und Tugend angewiesen werden können", wurde ganz bewußt in geistlich-weltlicher Doppelfunktion gesehen. Seinem Vater folgend setzte Landgraf Georg I. nun alles daran, nicht nur in den Städten, wo oft schon seit über hundert Jahren eine Schule vorhanden war, sondern auch "auff den Dörffern gute Teutsche Schulen" einzurichten. Sein oberster Kirchenbeamter, Johannes Angelus, der von 1578-1608 in sehr strenger Weise das Amt des Visitators oder Superintendenten versah (Dok 10), wollte den Schulbesuch erzwingen, indem er ihn zur Voraussetzung für die Konfirmation machte. Unterrichtsstoff war daher der Luthersche Katechismus, der "auß den Büchern außwendig" zu lernen war. Erteilt wurde dieser sture Paukunterricht - der allerdings Fähigkeiten im Lesen und Schreiben immerhin voraussetzte - von zukünftigen Pfarrern, d.h. examinierten Theologen, die sich auf solch einer Schulstelle für eine künftige Pfarrstelle zu bewähren hatten. (Dok 12)

Von dieser Durchdringung mit dem Geist der lutherischen Reformation war nur eine einzige, sehr kleine Gruppe ausgenommen: die Juden. Zwar hatten reformatorische Theologen wie Martin Bucer, die Landgraf Philipp berieten, schlichtweg die Vertreibung der Juden aus Hessen gefordert, doch ihre Stellung als Kredit- und überregionale Geschäftsvermittler wie als Schutzgeld- und Steuerzahler hatte sie zu einem wichtigen finanziellen Faktor werden lassen. Also gestattete Philipps Judenordnung von 1539 (die die bis dahin gegen Geld erteilten individuellen „Schutzbriefe“ ablöste) den Juden weiterhin die Ansiedlung, aber unter sehr einschränkenden Bedingungen. Sie durften Handwerk und Gewerbe nur an zunftfreien Orten ausüben, keine Synagogen bauen, mit Christen nicht über Religion disputieren, mussten sich zwangsweise Missionspredigten reformierter Geistlicher anhören und durften höchsten 5% Zinsen nehmen. Als Folge ging die Zahl der jüdischen Familien in Hessen zurück. Landgraf Georg I verfolgte in Hessen-Darmstadt eine nicht so harte Linie. Seine Judenordnung von 1585 reduzierte die religiösen Einschränkungen und erlaubte Zinsen bis 10%. Unter seiner Regierung siedelten sich Judenfamilien nicht nur in Darmstadt (dort war zuerst 1529 ein Jude gemeldet), sondern auch in Arheilgen, Bessungen, Eberstadt und Pfungstadt an. 1619 zählte man in Hessen-Darmstadt 16 jüdische Familien. Die Bedingungen, unter denen Juden in Hessen-Darmstadt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts leben mussten, gehen aus der gedruckten Judenordnung Georgs II von 1629 hervor. (Dok 13)

Der religiöse Eifer Landgraf Georgs schloss andere, allerdings nicht als „Gruppe“ zu definierende Menschen von jeder Duldung aus: gemeint sind die „Hexen“, zeitgenössisch „Zauberer“ genannt. Der erste Höhepunkt der Hexenverfolgung liegt im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts, also in der Regierungszeit Georgs I. Im Gegensatz zu seinen Brüdern schlug Georg eine gnadenlose Linie in der Verfolgung ein. Die gemeinsame, 1574 gedruckte hessische Kirchenordnung hatte bei den Personen, auf die die Superintendenten bei ihren Visitationen der Kirchensprengel besonders zu achten hatten, noch die „Zauberer“ gleichrangig mit Wahrsagern, Ehebrechern, Wiedertäufern und Vollsäufern aufgezählt. In der hessen-darmstädtischen Peinlichen Gerichtsordnung von 1575 wurde dagegen das "höchststräfliche Laster [der Zauberei], welches jetziger Zeit fast allenthalben unter den Waibspersonen durch Gottes gerechten Zorn und Verhängnuß eingerissen" sei, dem "treuen Fleiß" der Beamten besonders empfohlen. Zwischen 1582 und 1590 wurden in Darmstadt 29 Personen verbrannt, am 29. August 1582 allein "zehen Weyber ... und ist ein Knab von sibenzehen und ein Meidlein von drey zehen jarn darunter gewesen" [Dokumente zu diesem Prozess]. Insgesamt 37 Opfer forderte die Hexenverfolgung in Hessen-Darmstadt bis zum Tod Georgs 1596.

Ein Zeichen dynastischen Neuanfangs wurde mit der neuen Fürstengruft in der Stadtkirche gesetzt. Für seine 1587 verstorbene erste Frau Magdalena und für sich selbst ließ Georg im Chor der Kirche ein reich verziertes Alabasterepitaph errichten. Wie auf einem weltlichen Altar präsentieren sich in der Kirche die Statuen des Landgrafen und seiner Gattin sowie ein Relief, das Darmstadt als "himmlisches Jerusalem" zeigt. Fürstliches Selbstbewußtsein und die Tendenz zu staatlicher Autonomie werden hier beispielhaft repräsentiert. (Dok 14)





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  1. Gründungsurkunde des Hospitals zu Hofheim, 20. Juni 1535, Titelseite. (STAD A 9 Nr. 5)

  2. Schreiben Landgraf Philipps an seine Amtleute, 17. März 1560. STAD: E 5 A Nr. 21/2

  3. Reformation, Gesetz und Statuten unser Philipsen von Gottes Gnaden Landgraven zu Hessen, Graven zu Catzenelnbogen etc. so wir von allerlei Handtierungen unsern Fürstenthumen, Landen und Leuten zu nutz, gedeien und wolfart geordnet haben .... 25. November 1559. - STAD R 1 A Nr. 37/23

  4. Agenda (Marburg 1574), Neudruck Darmstadt 1662; STAD J 487/18

  5. Beauftragung des Superintendenten Johannes Angelus mit der Kirchen- und Schulvisitation, 1578; STAD E 5 A 3 Nr. 62/1a

  6. Mängelrügen des Johannes Angelus auf seiner Visitation 1578/79; STAD E 5 A 3 Nr. 62/1a

  7. Unser Georgen, von Gottes Gnaden Landgrafen zu Hessen .... Ordnung von fleißiger Übung des Catechismi, der Kinderlehr.... Marburg 1634

  8. Judenordnung Georgs II (1629), Druck Darmstadt 1661. – STAD R 1 Nr. 23/33)

  9. Johannes Angelus: Ein Christliche Leich Predigt bey der Fürstlichen Begräbnus... (auf Georg I.) Gehalten zu Darmbstatt, gedruckt in Frankfurt 1596 – Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt: 43/1184