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Kinder schreiben "Kriegstagebücher"

Schon mit Kriegsbeginn im August 1914 wurden Darmstädter Kinder von ihren Lehrern angehalten, "Kriegstagebücher" zu führen.



"Kriegstagebuch" der Lisa Lanz

Mehrere Hefte der 1904 geborenen, zehnjährigen Lisa Lanz, Schülerin der Mornewegschule, sind erhalten geblieben. Zunächst wird die anfängliche Kriegsbegeisterung wiedergegeben.




Vom 1. bis 13. August 1914
Am 1. August, um 6 Uhr abends, wurde mobil gemacht. Da schrieen die Leute alle "Hoch". Auch weinten viele Leute. Sie sangen "Deutschland über alles" und "Die Wacht am Rhein". Die Sonntagsruhe wurde am 2. August aufgehoben. Am Montag gingen die Dragoner fort. Am 4. August hörte man, daß deutsche Soldaten in Lüttich angekommen sind. Am 8. August teilte uns ein Telegramm mit, daß Lüttich eingenommen ist. In der Zeitung stand am 9. August die Greueltaten der Belgier.


Der Tagebucheintrag vom 25. November 1916 spiegelt die schlechte Versorgungslage im 3. Kriegsjahr wieder:

25. November 1916
Beim Reitinger
Als ich heute zur Schule ging, sagte meine Mutter: "Heute mittag gehe ich nach Pfungstadt, du mußt nach 4 Uhr zum Reitinger, um Schweizerkäse zu holen."Als ich dann am Kapellplatz ging, sah ich einen Schwarm Menschen am Reitinger stehen. Erst wollt ich mich nicht dazu stellen, als ich aber sah, daß alles ziemlich schnell voran ging, blieb ich hier. Es ging schon gegen 7 Uhr. Bald mußte ich ja an die Reihe kommen. "Wär ich nur einmal im Laden!" dachte ich. Da fing der Schutzmann an zu schimpfen. Ich verstand nur "Jetzt wird zugemacht, die Menschen drücken von hinten zu sehr." Richtich! Herr Reitinger machte seinen Laden zu und wir konnten abschieben.

(Hessisches Staatsarchiv Darmstadt R 12 N Nr. 2/32)
(S. 42)


Auch verschiedene Aufsatzhefte der Stadtknabenschule sind überliefert. Ein Schüler der III - Klasse, 1. Schuljahr 1915 - 16, schrieb ins 1. Heft einen Text, vermutlich ein Feldpostbrief seines Bruders:

Darmstadt, den 18. Aug. 15

Lieber Georg!

Besten Dank für Deine liebe Karte, die ich erhalten und worüber ich mich sehr gefreut habe. Es war sehr nett von dir, daß du dich meiner auch einmal erinnert hast. Ich habe inzwischen schon manches erlebt. Am 12. und 13. Oktober habe ich an zwei Gefechten teilgenommen. Solche Gefechte sind natürlich ein ernste Sache. Aber die deutschen Soldaten fürchten sich nicht. In meiner Nähe schlugen mehrmals Gewehr- und Schrapnellkugeln ein. Wir deutschen Soldaten wissen, daß es darauf ankommt, Euch daheim zu schützen. Wenn wir die Russen nicht aufhalten würden, so würden sie das weitere Deutschland ebenso zerstören, wie sie es mit einem Teil Ostpreußens getan haben. In dieser Gegend ist alles zerstört. Wir wohnen jetzt in den verlassenen Häusern. Betten sind natürlich nicht vorhanden. Wir schlafen auf Heu und Stroh und haben wenigstens Ein Dach über uns. Die Feinde wagen sich jetzt nicht mehr heran. Man hört nur noch einzelne Schüsse. Manchmal platzt auch ein Schrapnell in der Nähe des Dorfes. Bei Nahgefechten tauch(g)en die Russen nicht viel. Als wir ein Wäldchen erstürmten, winkten sie mit weißen Tüchern, warfen ihre Gewehre weg und hoben die Hände in die Höhe. Wir machten 420 Mann zu Gefangenen und erbeuteten sieben Maschinengewehre, die die Russen selbst nach unserm Bahnhof schaffen mußten. Nun will ich den Brief schließen.

Es grüßt dich herzlich
Eduard Becker.


(Stadtarchiv Darmstadt)